... kein Thema

... kein Thema ... kein Thema 
Schmutzige Computer-Tastaturen sind eigentlich kein Thema. Man trifft sie in jedem besseren Schweizer Grossraumbüro an und hat deshalb verlernt, über sie zu staunen. Dabei ist der Kontrast zwischen den sauber gekleideten .Angestellten und ihren schmuddligen, ja fast verwahrlosten Tastaturen eigentlich verblüffend. Tucholsky, ein toter deutscher Satiriker, schrieb einmal, in der Schweiz seien die Strassen so sauber, dass man von ihnen Spiegeleier essen könne." Für die Strassen mag das zutreffen. Aber wer in einer Schweizer Firma, die sich nicht alle zwei Jahre neue Computer leisten kann, ein Spiegelei von einer Tastatur isst, könnte sich genau so gut das Nastuch eines Grippekranken aufs Brot legen. Insbesondere die viel benutzte
E- Taste ist oft von einem bräunlichen Schmutzfilm überzogen, der am Tastenrand in ein Krüstchen über- geht. Dieses Krüstchen setzt sich aus
Haut- schuppen der Fingerkuppe, Angstschweiss und Kaffeespritzern zusammen und wimmelt unter dem Mikroskop von Leben wie Rio während des Karnevals. Aber der Büroalltag wird dadurch keineswegs mediterran locker! Das beweist der extrem hohe Verschmutzungsgrad der Delete- Taste, die meist auch noch eine kleine Delle aufweist vom verkrampften, wütenden Draufhacken. Das Aussehen einer solchen Delete- Taste gibt die Stimmungslage des betreffenden Angestellten wider: «Alles mache ich falsch, man hätte mich besser abgetrieben, ein Wunder, dass ich die Toilettenspülung bedienen kann!» Überhaupt sind verschmutzte Tastaturen, und das ist das Positive an ihnen, beredte Zeugen des Seelenlebens des modernen Büromenschen. Beispielsweise kommen Weinflecken am häufigsten auf der Escape- Taste vor. Leute, die beim Tippen saufen, müssen nämlich stets befürchten, dass sie den Wein über die Tastaturverschütten. Also stellen sie ihr Glas eine Armlänge von der Tastatur entfernt ab, und zwar links von ihr, weil rechts Notizen liegen. Somit ist die Escape- Taste, die sich meistens oben links auf der Tastatur befindet, die Taste, die dem Weinglas am nächsten ist. Sie wird deswegen manchmal auch die Harald-Juhnke- Taste genannt. Wenn der Angestellte nun das Glas umstösst, was häufiger vor- kommt, als man meint, ist die Escape- Taste als Erste betroffen. Aber auch die Pause- Taste spricht Bände. Normalerweise ist sie die sauberste Taste, denn bei der üblichen Büro-Arbeit braucht man sie nicht. Ein Chef kann deshalb Gift darauf nehmen, dass ein Angestellter, dessen
Pause- Taste Schmutzränder aufweist, heimlich Computerspiele spielt: Wenn ihn mitten in einer Schacht ein Kunde anruft, drückt er die Pause- Taste, wimmelt den Kunden ab und spielt dann weiter. Ich würde überhaupt sagen, dass ein alerter Chef in der Tastatur eines Angestellten lesen kann wie in einem offenen Buch. Eine blütenreine Y- Taste ohne Abnutzungsspuren weist zum Beispiel auf die nicht vorhandenen Englischkenntnisse eines Angestellten hin, eventuell auch auf Anti-Amerikanismus. Anderseits bedeutet eine è- Taste mit Schmutzkruste noch lange nicht, dass der Betreffende fliessend Französisch schreibt. Vielleicht ist er im Gegenteil ein Volltrottel, der dauernd «Bèrse» statt «Börse» tippt. Ich jedenfalls habe heute meine Tastatur mit einer Lotion, die sich «PerfectData» nennt,. gereinigt und fühle mich jetzt wieder wie ein unbeschriebenes Blatt. von Linus Reichlin / FACTS




1 / 40