Semannsgarn-Geschichten


Arr, zu einem echt verrücktem Seeräuber-Epos gehört neben Unmengen an schmutzigen Witzchen und bizarren Halunken natürlich auch abgedrehter Seemannsgarn, den man sich von angeheiterten Bukanieren erzählen lassen kann.
Einer von diesen typischen Geschichtenerzählern ist der alte Käpitän Fisch, der in dieser kleinen Rubrik ein paar seiner abstrusesten Unternehmungen als Freibeuter zum Besten gibt, aye.
Aber behaltet im Hinterkopf, Matrosen: diese Geschichten sollen euch erst warm machen für den Garn, den ihr in Zukunft noch in "Sherman Bragbone" hören werdet, harhar!
Nr.2: Die Kaffeesache
Nr.2: Die Kaffeesache

Die Kaffeesache
by Lucre

Aye, es gibt da ein ziemlich ernstes Problem in letzter Zeit, vor allem für uns pensionierte Seebären! Wir haben unser raues Handwerk in diverse Kneipen und Tavernen verlegt, und das belebt da einen des Mittags mehr als guter, ordentlich ergaunerter Kaffee!
Doch wie sehr hat uns Poseidon verflucht, dass er auf seinem Ozean alle Kaufmannschiffe mit Kaffeebohnen an Bord – ja! – sogar jegliche Kaffeebestände an Land durch seltsame Gestalten hat verschwinden lassen! Arrr! Ja, es ranken sich bereits jetzt viele Mythen um diese Kaffee-Raube, die all das braune Gold der Karibik wie vom Erdboden verschwinden lassen. Niemand kann sich erklären, aus welchem Höllenschlund diese Rostbohnen-Bukaniere gesegelt kamen – aber plötzlich scheinen sie überall und nirgendwo.
Manch einer behauptet da, dass die bösartigen Geister von Kaffeehändlern vom Meeresboden heraufbeschworen wurden, um sich bei Bukanieren und Freibeutern für ihren Tod zu rächen – durch diabolischen Kaffee-Entzug! Mit Segeln so braun wie Filterpapier, mit Hölzern am Bug, die noch gerösteter scheinen als die köstlichste Bohne und mit unheimlich herbem Dufte durch den Ozean ziehend, würden sie nicht eher ruhen, bis sie die sündigen Seelen kaffee-freudiger Piraten verkrüppeltt haben.
Wer nun nicht an Geister glaubt – ha! Solche Leute soll es ja geben! – der vermutet dahinter eine ganz natürliche Ursache: Freibeuter-Stress! Harharhar, es gibt tatsächlich Leute, die meinen, mit … wie nannten sie diese Zahlen des Satans noch? Ach ja … STATISTIKEN beweisen zu können, dass durch steigende Freibeuterdichte und der Konkurrenz zwischen diesen Seehunden so viele Piraten Überstunden auf See schieben müssen, dass der Kaffee-Verbrauch stark ansteigt, arrr! Das mag sich erst einer überlegen! Demnach sei es kein Wunder, dass der Kaffee verschwindet …
Ob nun Geister oder lebende Piraten, sie fallen überall ein, rauben jeden Kaffee, ob er nun auf dem Ozean umhergetragen wird oder in den Lagern der Inselbastionen lagert – und manchmal ist es nur eben dieses gottverdammte Kaffee-Zeug, was sie wollen.
Was auch immer nun dahinter stecken mag, Maate, es ist eine seltsame Angelegenheit, die da vor sich geht. Da ist Irgendetwas - das spürt man - das einem das salzige Herz in die Hose segeln lässt, das wie ein kalter Monsun über deinen Rücken hinwegfegt. Oder es kommt von meinem Koffein-Mangel.
Fragt mich nicht, Maate, wann sie den Zucker für ihren Kaffee besorgen wollen, harharhar!
Hach ja, würde der alte Fisch noch zur See fahren – wir hätten Kaffee genug, aye!

Nr.3: Slobber, der Papagei … des Todes
Nr.3: Slobber, der Papagei … des Todes



Janmaate, hört auf euren alten Kumpanen Fisch – und glaubt bloß nich’ der Werbung! Sich als stilechter Freibeuter ’nen bunten Vogel anzuschaffen is’ nich’, ich wiederhole, NICH’ zwangsläufig die beste Art zu zeigen, dass man ’n bösartiger Stereotyp von Pirat und zugleich tierlieb is’. Wär’ ja schon bei manchem wünschenswert, wenn er’s zeigt, indem er ganz einfach aufhört Zitteraale bei lebendigem Leibe zu verschlingen – aber manch ein Bukaniersgourmet scheint in der Hinsicht unbelehrbar. Kommt wohl vom Schiffszwieback.
Ich bin und bleibe der Meinung, dass der Papagei - jener buntgefiederte, frivole Kosar unter den Vögeln - vom Satan persönlich auf dieses Erdenanlitz gesandt wurde, um uns die Hölle ein Stück näher zu bringen. Nicht allein durch den Gestank, den er einem modischem Seemannsmantel auf ewig anhängen kann! ’Ne zweifelsohne unheimliche Bestätigung fand ich in ’ner Geschichte, die so und nich’ anders einem alten Freund von mir, Smut Fowlmouth, widerfahren ist.
Wichtig zu wissen is’, dass Fowlmouth schon immer seinem Namen alle Ehre machte und weniger wegen der Schärfe und Schnelligkeit seiner Klinge, als durch sein stumpfes und kontinuierliches Geschwätz in Verruf kam. Begab sich, dass die gelassensten Männer in eine blinde Raserei verfielen und ihm an die Kehle wollten, kaum dass sie drei Stunden mit ihm gesegelt waren. Es heißt, er sei in jedem Weltmeer mindestens zweimal ausgesetzt worden. Teufel, wir alle wunderten uns nur zu sehr, dass er trotz seines gott- und grenzenlosen Gefluches immer wieder der Gunst des Schicksals sicher sein konnte. Bis zu diesem einen Tag.




’S war Winterschlussverkauf auf dem St.Kitts-Wochenmarkt und Fowlmouth nötigte mich dazu, mit ihm die armseligen Stände abzuklappern. Ich war schon längst bis zum Ende der Hafenbucht getrottet, in Trance versetzt von Fowlmouths lästerlichen Worten über den Herrn und die Gezeiten, als ich plötzlich bemerkte, dass er nich’ länger neben mir herging. Ich fand ihn wie versteinert vor einer aus geflickten Decken bestehenden Behausung stehen, vor der wiederum hölzerne Käfige mit schnatternden Papageien darin zu betrachten waren.
„Papageien sind überbewertet“, war meine beinahe prophetische Mahnung. Aber ich Elias konnte natürlich nich’ den Willen eines Fowlmouth brechen, der mich nur mit n’ paar spöttischen Bemerkungen über meinen von Rum geformten Körper abtat und unversehens die Behausung betrat.
Ich weiß nich’ genau, was dort drin im Einzelnen geschah, aber es muss schicksalhaft gewesen sein. Fakt is’, dass die Papageien-Verkäuferin und er in Zwist gelangten, beide die Angebote des anderen nich’ akzeptieren wollten und später ein fürchterlicher Streit darüber entfacht wurde, ob man Papageien einen kleinen Piratenhut aufsetzen oder das zuliebe ihres Schädelgefieders unterlassen sollte. Aye, so und nich’ anders.
Fowlmouth gewann. Triumphierend stolzierte er aus der Hütte, unter dem Arm ’n Käfig mit einem harmlos wirkenden Papageien, der ohne Atempause vor sich hinkauderwelschte. Sein Name sollte „Slobber“ heißen. Der Vogel war so redefreudig, dass nich’ einmal Fowlmouth zu Worte kam, und so gingen wir unter den ernsten Blicken der Hexe vom Papageienverkauf unseres Weges. Auf dem ganzen Weg zurück zu unserem Schiff, auf der Schifffahrt selbst, bei Tag und Nacht redete der Papagei unentwegt, fluchte, pöbelte, bezeichnete selbst unseren Smutje als einen „Fettwanst, der im Grunde seine eigene Umlaufbahn haben müsste“. Fowlmouth dachte nich’ daran, seinen Vogel wieder wegzugeben, war doch sein Stolz über den Gewinn genau so groß wie sein Mundwerk.




Er setzte sich bald auf einer Erholungsinsel für Freibeuter ab, oder – man sollte eher davon sprechen – MUSSTE sich dort absetzen, nachdem der Papagei in Anwesenheit des Kapitäns angemerkt hatte, dass die gesamte Schiffsleitung „weniger Grips im Schädel hätte als ’n einziger besoffener Orang-Utan“. Abgesehen davon hätte die Mannschaft keine Sekunde länger diesen Plagegeist von Vogel ertragen können, lieber hätten sie sich vermutlich in den Ozean geworfen.
Fowlmouth mietete sich von seiner Abfindung eine Einsiedlerhütte in Küstennähe und gab sich seiner heimlichen Lieblingsbeschäftigung hin … dem Stricken. Zumindest war das der Plan. Es kam alles anders.
Müssen schreckliche Dinge mit seiner armen Seele passiert sein. Als ich ihn nach einigen Monaten besuchen wollte, erzählten mir Einwohner, der gesuchte Smut Fowlmouth sei über die Stimmen in seinem Kopf verrückt geworden, sodass es ihn eines Nachts nackt ’ne Klippe hinuntergetrieben habe. Er hatte Tage zuvor seinen nervtötenden Papageien Slobber im Wald vergraben, um ihn endlich loszuwerden.
Stattdessen muss er selbst in den tiefsten Nächten aus der Ferne immer jene dumpfe Stimme vernommen haben, die stetig in seinen Kopf einzuhämmern schien: „Bwaak, du saublöder Hund! Ich habe deine Mutter schon gekannt, und bei Poseidons großem Zeh, sie ist zu blöd gewesen, um selbst einem Schimpansen etwas beizubringen!“ Selbstdispute des Papageien über geopolitische Streitfragen und die richtige Zubereitung von Sauerkraut hätten ihn immer verfolgt, egal wo, wann und warum er an ’nem stillen Ort verweilte.




Ich erkläre mir dies als die unangenehme Konsequenz der Gottlosigkeit, mit der Smut Fowlmouth sich einst noch durch unsere Hirne quasselte, als Rache Gottes in Form eines bösen Papageien, der ihn auf ewig mit der selben penetranten Dummschwätzerei strafen sollte, durch die auch er sich einmal auszeichnete. Andere sagen, Smut habe einfach die falsche Zahncreme benutzt oder sei immer nur stolz auf seine Syphilis gewesen, anstatt sie behandeln zu lassen. Es gibt viele Erklärungsversuche, aber bei einem sind sich alle sicher: es war eine Ironie der Sache, dass Fowlmouth auf diese Weise starb.
Aye, eins könnt ihr mir glauben, Landratten: noch heute hört man in dem Hain, wo Slobber einst vergraben wurde, wenn man ganz still ist, eine krächzende Stimme, ein Surren, ein piepsiges Maulen, das sich spottend über den Qualitätsrückgang bei Vogelfutter auslässt.

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Papageien sind der Antichrist!


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