Nr.1: Weibische Segel

Weibische Segel
by Lucre

Wo wir gerade bei seltsamen Dingen sind, fällt mir eine Geschichte ein, die sich genau so und nich’ anders vor nicht allzu langer Zeit abgespielt hat! Harharhar, es ist eine wahrlich komische Angelegenheit.

Auch Landratten wie ihr solltet wissen, dass die Spanier gern mal ihre Klunker und vergoldeten Hosenknöpfe unten aus Mittel- und Südamerika nach Europa schiffen, aye! Die Jungs hatten schon oft Bekanntschaft mit einigen miesen, mürrischen, morgendlich maulenden Freibeutern gemacht und das hatte sie vorsichtig werden lassen. Arr, sogar sehr vorsichtig! Also schickten sie ihr großes Schatzschiff, die „Succata“, zusammen mit einigen Schutzschiffen Richtung Spanien, immer in der Hoffnung, einige hundsdämliche Piraten würden mal vorbeischauen und unter dem Kanonenhagel der schnellen spanischen Brigantinen den Meeresgrund kennenlernen! Aye, da waren die mit Sicherheit ganz scharf drauf!

Angeführt wurde der Haufen Holz von einem Mann namens Torpedo, äh, oder Avocado? Algado, jetzt weiß ich’s wieder! Fernando Algado, ein echter Seehund! Hoher Admiral der spanischen Seemacht und ein Piratenhasser wie kein zweiter. Unter seiner Führung war es nahezu unmöglich, einen erfolgreichen Angriff auf das große Schatzschiff zu wagen … aber da gab es einen Mann, der etwas tat, wofür er und seine Mannschaft später die furchterregende Bezeichnung „Rosa Korsaren“ erhielten. Und – mit Verlaub – auch ich darf diesen Namen tragen, denn ebenso der alte Kapitän Fisch war damals diesem Haudegen von Piraten unterstellt.

Von dem ich spreche, war ein aufstrebender, junger Pirat mit dem Namen Ivor Odyson. Anstatt auf einer Brigg oder einer Schaluppe durch die Meere zu ziehen, zog es Odyson vor, mit vier niedlichen Pinassen zu reisen und Beutezüge zu machen – und das erfolgreich! Noch bevor wir etwas mit der „Succata“ zu tun bekommen sollte, hatten wir ein Handelsschiff der Franzosen gekapert und gigantische Mengen rosa Stoffes erbeutet. Hinzu kamen Unmengen teurer Damenbekleidungen und Perücken in allen Farben und Formen – und so gern wir lieber ein paar Goldschätze gefunden hätten, so brachte doch auch dieser Firlefanz viel Geld für uns arme Seeleute, harhar!

Denn es war Odysons Glück, dass er in einer schäbigen Kneipe auf einer Insel vor Antigua abstieg, kurz bevor er die Fracht der Franzosen in den großen Hafenstädten verscherbeln konnte. Er hörte eines Abends in dieser Schanke, dass von Panama aus die „Succata“ mit ihrer tödlichen Wachmannschaft losgesegelt war – und dass niemand sie jemals bezwingen könne. Odyson war ein gerissener Hund und es dauerte nicht lange, bis er einen tollkühnen Plan hatte, mit dem er die Spanier bezwingen wollte.

Es wehte an jenem Apriltag aus südlicher Richtung und der Flottenverband der „Succata“ segelte mit halbem Wind in Richtung Atlantik, als der Ausguck am Horizont die Segel von vier Pinassen ausmachen konnte. Harharhar, er muss sich ganz schön gewundert haben, als er durch sein Fernrohr Segelfarbe und Besatzung erkennen konnte, denn während der Stoff am Maste in grellstem Rosa erstrahlte, wurden die Schiffe selbst von Scharen junger Damen gesteuert, deren Anblick schnelle Wirkung zeigte. Es dauerte nicht lange - aye! -, bis sich alle Besatzungsmitglieder der spanischen Schiffe an die Reling gestellt hatten und die verheißungsvollen Kähne in der Ferne bestaunten. Sie waren schon eine Zeitlang unterwegs und viele hatten in Panama nicht die Zeit, ihre „Bedürfnisse“ voll und ganz zu befriedigen. Wie kamen ihnen also diese schwimmenden Freudenhäuser gelegen! Viel hatten sie schon davon gehört und größte Begeisterung erfasste diese Narren – so sehr, dass selbst Algado einwilligte, die Frauen herankommen zu lassen. Selbst wenn es verbrecherische Weiber sein sollten, so dachte er wohl, würden seine Leute damit fertigwerden!

Es war herrlich! Kaum waren die Pinassen an die Schutzschiffe herangekommen und die Damen freundlichst aufs Deck gebeten, flogen die Frisuren durch die salzige Luft und aus zart geschminkten Mündern brüllten die gröbsten Verwünschungen! Säbel blitzten unter den Kleidern hervor und bald sah sich Algado damit konfrontiert, dass er von als Freudenmädchen verkleideten Piraten umzingelt war.

Hahaha! Odyson hatte also die französischen Waren dazu benutzt, uns, seinen Leuten, ein feines Aussehen zu geben, sodass den hitzigen Spaniern das Blut nur so kochte! Nun, recht blutig sollte es auch weiter bleiben, denn bis auf das riesige Schatzschiff ließen wir nicht viel von den spanischen Kähnen übrig. Was mit Algado, dem König der Narren, geschah, ist nicht bekannt. Auch ich sah es nicht. Es heißt, Odyson selbst habe ihn mit den spitzen Absätzen seiner Schuhe getötet, woanders hört man, Algado sei davongekommen – um auf ewig mit der Scham leben zu müssen, eine Weiberschar habe seine bis an die Zähne bewaffnete Elitetruppe spielend überwältigt.

So gingen Odyson und seine Mannen als die „Rosa Korsaren“ ein – das Grauen unter weibischen Segeln!

Aber denkt jetzt ja nichts Falsches von mir, ihr Landratten! Obwohl … mein Kleid war ganz besonders hübsch, harhar!
1/3